Art. 15 DSGVO und § 83 I 1 BetrVG: Eine Gefahr für die Anonymität von Hinweisgebern?

Art. 15 DSGVO und § 83 I 1 BetrVG im Spannungsverhältnis zum Unternehmensinteresse bei internen Untersuchungen

Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO sowie das Recht des Arbeitnehmers auf Einsichtnahme in die Personalakte gemäß § 83 I 1 BetrVG stehen naturgemäß im Spannungsverhältnis zum Willen des Arbeitgebers, die Anonymität von Hinweisgebern zu schützen.

Die Frage nach dem Umfang des Einsichtsrechts wird vor allem bei anonymen Hinweisen über Hinweisgebersysteme sowie bei unternehmensinternen Untersuchungen relevant. Bisher war fraglich, ob das Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte auch zur Einsichtnahme in Akten aus internen Untersuchungen ermächtigt. Da eine derart weite Interpretation des Einsichtnahmerechts nicht selten zur „Enttarnung“ anonymer Hinweisgeber führen würde, haben Unternehmen regelmäßig ein starkes Interesse daran, Akten aus internen Untersuchungen unter Verschluss zu halten. Durch das zuletzt vom Bundestag verabschiedete GeschGehG sah man sich in diesem Interesse bestärkt.

Für Unternehmen ist die Frage nach dem Umfang des Einsichtnahmerechts aus § 83 BetrVG und des Auskunftsrechts aus Art. 15 DSGVO daher von erheblicher Relevanz. Denn welcher Arbeitnehmer wird seinem Arbeitgeber schon Informationen über mögliche Straftaten offenbaren, wenn er befürchten muss, später vom verdächtigten Arbeitnehmer identifiziert und bei den Kollegen als „Verräter“ bloßgestellt zu werden, nachdem dieser im Zuge der Einsichtnahme von der Anzeige erfahren hat? Diese Problematik hat sich durch das in Art. 15 DSGVO eingeführte umfassende Auskunftsrecht noch einmal verschärft. Entsprechend groß war das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in dieser Frage.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.12.2018 – Az. 17 Sa 11/18

Das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte bzw. Auskunft des Arbeitnehmers und dem Schutz der Identität eines Hinweisgebers war nunmehr Gegenstand einer Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18). Der Kläger, ein Arbeitnehmer der DAIMLER AG, klagte unter anderem auf Einsichtnahme in seine Personalakte nach § 83 I 1 BetrVG sowie Auskunft über seine beim Unternehmen gespeicherten personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 DSGVO. § 83 I 1 BetrVG garantiert dem Arbeitnehmer ein Einsichtsrecht zu allen Aufzeichnungen, die sich mit seiner Person und dem Inhalt der Entwicklung seines Arbeitsverhältnisses befassen. Art. 15 DSGVO geht noch einen Schritt weiter und verleiht nicht nur ein Recht auf Auskunft über alle personenbezogene Daten, sondern darüber hinaus u.a. ein Recht auf Auskunft über die Verarbeitungszwecke und die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt werden sollen (Weiterleitung der Informationen an das US Department of Justice?).

Die DAIMLER AG verweigerte dem Arbeitnehmer die Einsichtnahme und begründete ihre Entscheidung damit, dass sie auf den bedingungslosen Schutz der Anonymität hinweisgebender Mitarbeiter angewiesen sei. Ansonsten sei zu befürchten, dass Mitarbeiter künftig aus Angst vor Benachteiligung und „Repressalien“ auch bei schwerwiegendem Fehlverhalten auf entsprechende Hinweise an den Arbeitgeber verzichten würden.

Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg

Um es kurz zu machen: dem LAG Baden-Württemberg genügte diese Begründung der Daimler AG nicht.

Akten aus internen Untersuchungen als Teil der „Personalakte“ i.S.d. § 83 I 1 BetrVG?

Zunächst stellte das LAG Baden-Württemberg klar, dass auch solche Akten „Personalakten“ im Sinne von § 83 I BetrVG sind, die im Zuge interner Ermittlungen über einzelne Mitarbeiter angelegt werden. Dies ergebe sich bereits aus der sehr weiten Definition des Begriffs „Personalakte“. Eine Personalakte ist jede Sammlung von Unterlagen, die mit dem Arbeitnehmer in einem inneren Zusammenhang stehen und zwar unabhängig von Form, Material, Stelle und Ort, an dem sie geführt wird. Im Fall von DAIMLER bejahte das LAG die Personalakteneigenschaft der vom sog. Business Practises Office (BPO) angelegten Akte. Beim BPO handelt es sich um eine unternehmenseigene Einrichtung für interne Untersuchungen der DAIMLER AG. Nach Auffassung des LAG sei es für die Zuordnung von Unterlagen zur „Personalakte“ i.S.d. § 83 I 1 BetrVG nicht erforderlich, dass die Unterlagen tatsächlich in die Personalakte aufgenommen worden seien. Der vom zugrunde gelegten Personalaktenbegriff geforderte innere Zusammenhang folge hier bereits aus dem Umstand, dass die DAIMLER AG den Arbeitnehmer auf das gegen ihn geführte BPO-Verfahren hingewiesen habe.

Beschränkung des Einsichtnahmerechts wegen berechtigter Interessen?

Keine Gefährdung der internen Untersuchung

Weiter führt das LAG im Hinblick auf das Einsichtsrecht aus § 83 I 1 BetrVG aus, dass eine Gefährdung laufender interner Untersuchungen durch die Gewährung von Einsicht in die Personalakte nicht erkennbar sei. Dass die Einsichtnahme laufende interne Ermittlungen noch behindern könne, sei von der DAIMLER AG nicht vorgetragen worden. Vielmehr seien die den klagenden Arbeitnehmer betreffenden Ermittlungsmaßnahmen abgeschlossen, sodass eine Gefährdung des Ermittlungserfolgs aus Sicht des LAG ausgeschlossen gewesen sei.

Keine überwiegenden berechtigten Interessen Dritter

Das Einsichtsrecht könne dem Arbeitnehmer auch nicht zur Sicherung berechtigter Interessen anderer Mitarbeiter versagt werden. Zwar sei der Arbeitgeber nicht befugt Daten über Mitarbeiter weiterzugeben, wenn er diesen Anonymität zugesichert habe. Allerdings sei das Führen von Geheimakten unzulässig. Diesen Konflikt löste das LAG, indem es entschied, dass nur der Teil des Hinweises zur Personalakte aufzunehmen sei, der die Anonymität des Hinweisgebers wahre. Danach darf also weder der Name des Hinweisgebers in der Personalakte des verdächtigten Arbeitnehmers auftauchen, noch darf der aufgenommene Teil des Hinweises Rückschlüsse auf den Hinweisgeber zulassen. Der Hinweis solle deshalb zum Beispiel durch Schwärzen anonymisiert werden, und zwar schon bevor er in die Personal- oder BPO-Akte aufgenommen werde. Unterlasse der Arbeitgeber eine solche Anonymisierung des Hinweises, könne er dem betroffenen Arbeitnehmer die Einsichtnahme nicht wegen der versäumten Anonymisierung verweigern. Schließlich hielt das LAG der DAIMLER AG vor, dass sie nicht einmal vorgetragen habe, welcher Pflichtenverstoß des Arbeitnehmers Gegenstand der internen Untersuchung gewesen sei.

Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO

Am Ende der Entscheidung kommt das LAG Baden-Württemberg auf das Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO zu sprechen. Schulmäßig bejaht es zunächst knapp die Voraussetzungen von Art. 15 DSGVO:

Der Kläger hat einen Anspruch nach Art. 15 Abs. 1 der DS-GVO auf Erteilung der mit der Anschlussberufung geltend gemachten Auskünfte. Die DS-GVO findet unmittelbar Anwendung (1) und ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar (2). Die Beklagte verarbeitet personenbezogene Daten über den Kläger (3), weshalb dieser sowohl die erweiterte Auskunft (4) nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DS-GVO als auch einen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie (5) der Daten nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO hat. Diese Ansprüche sind im vorliegenden Fall auch nicht durch berechtigte Interessen Dritter eingeschränkt (6).

Entgegenstehendes berechtigtes Interesse i.S.d. §§ 34 I, 29 I 2 BDSG

Spannend wird es dann bei der Frage, ob der Anspruch des Betroffenen durch ein berechtigtes Interesse Dritter eingeschränkt wird. Zutreffend weist das LAG Baden-Württemberg darauf hin, dass § 34 I i.V.m. § 29 I 2 BDSG aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 23 I lit. i) DSGVO das Auskunftsrecht der betroffenen Person einschränken können. Dies ist u.a. der Fall, wenn Informationen offenbart würden, die aufgrund eines überwiegenden berechtigten Interesses eines Dritten geheim gehalten werden müssen.

Güterabwägung im Einzelfall erforderlich

Das LAG stellt klar, dass das bloße Vorliegen eines Geheimhaltungsgrundes nicht zwangsläufig zu einem korrespondierenden Auskunftsverweigerungsrecht führt. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der §§ 34 I 1 i.V.m. 29 I 2 BDSG, die das Auskunftsrecht nur einschränken, „soweit“ durch die Auskunft geheime Informationen offenbart würden. Die Frage, inwieweit das Auskunftsrecht eingeschränkt werden darf, müsse in jedem Einzelfall anhand einer Güterabwägung gesondert entschieden werden.

Zusicherung der Anonymität als berechtigtes Geheimhaltungsinteresse?

Die Geheimhaltung einer Informationsquelle kann nach Auffassung des LAG ein berechtigtes Interesse begründen. Dies gelte zum Beispiel, wenn der Arbeitgeber Hinweisgebern Anonymität zusichert, um etwaiges Fehlverhalten innerbetrieblich aufzuklären. Dieses Geheimhaltungsinteresse trete allerdings dann zurück, wenn der Informant dem Arbeitgeber wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Informationen gegeben habe.

Substantiierungspflicht des Arbeitgebers

Rechtlich war der DAIMLER AG also durchaus der Boden bereitet, um den Auskunftsanspruch des (ehemaligen) Arbeitnehmers abzuwehren. Dennoch scheiterte die DAIMLER AG, weil sie ihr Geheimhaltungsinteresse aus Sicht des LAG Baden-Württemberg nicht hinreichend substantiiert hatte.

Die Erwägung der DAIMLER AG, dass sie auf den bedingungslosen Schutz der Anonymität hinweisgebender Mitarbeiter angewiesen sei, war aus Sicht des LAG zu allgemein gehalten. Vielmehr bedürfe es der Nennung eines konkreten Sachverhalts, anhand dessen geprüft werden könnte, ob durch die Auskunftserteilung tatsächlich die Rechte und Freiheiten anderer Personen beschränkt werden würde. Die Einschränkung des Auskunftsanspruches wegen überwiegender schützenswerter Interesse Dritter scheitere bereits daran, dass es nach dem Vortrag der Beklagten unklar bleibt, auf welche personenbezogenen Daten des Klägers sich die behaupteten schützenswerten Interessen Dritter beziehen sollen. Soweit die DAIMLER AG mit dem Hinweis auf schützenswerte Interessen Dritter den Auskunftsanspruch verweigere, sei sie für die maßgeblichen Umstände in der Darlegungslast. Sie wäre kraft Sachnähe in der Lage gewesen, vorzutragen, welche konkreten personenbezogen Daten nicht herausgegeben werden können, ohne dass schützenswerte Interessen Dritter tangiert werden. Zu dieser Darlegung hätten nicht schon die personenbezogenen Daten als solche preisgegeben werden müssen. Ausreichend, aber auch erforderlich wäre gewesen, darzulegen, auf welche genauen Informationen (Sachverhalt/Vorfall/Thema in zeitlicher und örtlicher Eingrenzung nebst handelnden Personen) sich das überwiegende berechtigte Interesse an einer Geheimhaltung beziehen soll. Nur dann wäre der Kammer die notwendige Einzelfallabwägung möglich gewesen.

Fazit

Revision zum Bundesarbeitsgericht

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg bringt der Compliance-Praxis etwas mehr Rechtssicherheit. Das LAG vertritt hier einen (naheliegenden) Kompromiss zwischen Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers und Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers. Es bleibt abzuwarten, ob es bei den im Urteil des LAG Baden-Württemberg getätigten Aussagen bleibt. Denn die DAIMLER AG hat gegen das Urteil laut JUVE bereits Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.

Bedeutung für Compliance-Abteilungen und Strafverteidiger

Für Compliance-Abteilungen hat das Urteil nicht unerhebliche Bedeutung. So sollten Offenbarungen von Hinweisgebern stets nur hinreichend anonymisiert in die Personalakte aufgenommen werden. Hierzu zählen auch Akten zu Mitarbeitern, die im Zuge von internen Untersuchungen zusammengestellt worden sind. Die vom LAG Baden-Württemberg vorgeschlagene Praxis der Schwärzung von den Hinweisgeber identifizierenden Daten erscheint hier praxisgerecht. In der Praxis sollte es ausreichen, wenn die Akten kurz vor Herausgabe an den Arbeitnehmer geschwärzt werden.

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg ist schließlich auch für (Individual-)Strafverteidiger interessant. Denn es zeigt ihnen einen Weg auf, um bereits in einem sehr frühen Stadium – nämlich häufig schon vor Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens – Zugriff auf konkrete Informationen zum Tatvorwurf zu erhalten.