Die EU‑Verordnung 2017/746 über In‑vitro‑Diagnostika (IVDR) sorgt seit 2022 für ein gerne übersehenes Haftungsrisiko: Seit Inkrafttreten der IVDR kann irreführende Kennzeichnung oder Werbung nach Art. 7 IVDR i. V. m. § 93 MPDG strafbar sein. Dieser Beitrag zeigt, welche Pflichten gelten, wo Bußgelder drohen – und wie Unternehmen ihr Compliance‑System IVDR-konform gestalten.
IVDR kurz erklärt
Die In‑vitro‑Diagnostika‑Verordnung (IVDR) gilt seit 26. Mai 2022 unmittelbar in allen EU‑Staaten. Sie ersetzt die IVDD‑Richtlinie und verschärft:
- Risikoklassifizierung (A–D) mit Pflicht zur Benannten Stelle (meist ab Klasse B).
- Technische Dokumentation & Leistungsbewertung – umfangreicher und audit‑pflichtig.
- UDI‑System & EUDAMED‑Registrierung – lückenlose Rückverfolgbarkeit.
- PRRC („Responsible Person“) – interne Fachverantwortung gemäß Art. 15.
Für Deutschland wurden die Vorgaben in das Medizinprodukterecht‑Durchführungsgesetz (MPDG) integriert.
Artikel 7 IVDR: Irreführungsverbot mit Biss
Art. 7 IVDR verbietet jede Kennzeichnung oder Werbung, die Nutzer oder Patienten bezüglich Zweckbestimmung, Leistung oder Sicherheit täuscht. Neu:
Art. 7 d) IVDR
Kein Marketing für Anwendungen außerhalb der geprüften Zweckbestimmung.
Rechtsfolge in Deutschland
§ 93 Abs. 4 Nr. 1 MPDG erklärt vorsätzliche Verstöße gegen Art. 7 IVDR zur Straftat – Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr, in besonders schweren Fällen bis 3 Jahre (gewerbsmäßig/bandenmäßig sogar 1–10 Jahre).
Pflichten & Verantwortliche
Akteur | Kernthemen unter IVDR | Haftungsrisiko |
Hersteller | QMS (ISO 13485), Risikomanagement, Leistungsbewertung, CE, UDI, Vigilanz | Bußgeld bis 30 000 €, strafbar bei Vorsatz |
EU‑Bevollmächtigter (EC‑REP) | Dokumente bereithalten, Behördenkontakt, Registrierung | Bußgeld / strafbar wie Hersteller |
Importeur | Prüfen & nachweisen, dass Produkt CE‑konform registriert ist; Name & Adresse beifügen | Ordnungswidrigkeit; Vorsatz = Strafbarkeit |
Händler | Sichtprüfung, Lager‑/Transportbedingungen, Rückverfolgbarkeit | Bußgeld |
Labore (In‑house‑Tests) | Art. 5 Abs. 5 IVDR + nationale Qualitätsanforderungen | Bußgeld (bei gewerblicher Abgabe: volle Herstellerpflichten) |
Sanktionen im Überblick
Bußgelder (Deutschland)
- § 94 MPDG: bis 30 000 € je Verstoß
- fehlende Registrierung (EUDAMED)
- fehlende deutsche Gebrauchsanweisung
- Unterlassen der PRRC‑Benennung
- falsche Klassifizierung o. fehlendes Konformitätsverfahren
Straftaten (§ 93 MPDG)
- Irreführende Werbung/Kennzeichnung (Art. 7 IVDR)
- Inverkehrbringen nicht‑konformer oder gefälschter IVD
- Unerlaubte Leistungsstudien
- Gefährdung von Leben/Gesundheit ⇒ bis 5 Jahre
- Gewerbsmäßiges oder bandenmäßiges Handeln ⇒ bis 10 Jahre
Österreich: Verwaltungsstrafen bis 25 000 €/50 000 € – keine eigenen Strafnormen.
Schweiz: Geld‑ oder Freiheitsstrafen nach HMG + Swissmedic‑Maßnahmen.
Typische Fehlerquellen 2025
- Legacy‑Werbematerial nicht angepasst
Produktbroschüren pre‑IVDR erfüllen oft nicht Art. 7 IVDR. - RUO‑Kits im diagnostischen Einsatz
„Research Use Only“ ist kein Schlupfloch – Behörde wertet das als Inverkehrbringen. - Fehlende oder fehlerhafte UDI‑Daten
Viele Hersteller haben die UDI‑Registrierung noch nicht abgeschlossen. - Verspätete Rezertifizierung
Engpässe bei Benannten Stellen verlängern Übergangsfristen, entbinden aber nicht von Werbungsklarheit (Art. 7).
Best‑Practice‑Checkliste
- Marketing‑Review: Jede Aussage mit Zweckbestimmung, IFU & Zertifikat abgleichen.
- Gap‑Assessment: Prüfen, ob technische Dokumentation Art. 10 IVDR erfüllt und lückenlos aktualisiert ist.
- Digitale Label‑Freigabe: Softwaregestützter Workflow, der Art. 7‑Check erzwingt.
- PRRC‑Mandat: Verankerung in Organigramm, klare Reporting‑Linien zum Vorstand.
- Schulungen: Pflichtmodul zur Strafbarkeit nach § 93 MPDG für Vertrieb & Marketing.
- Internal Audits: Spezifischer IVDR‑Auditplan inkl. Werbemittel‑Stichproben.
- Incident‑Response‑Plan: Meldewege an BfArM/PEI, Swissmedic oder BASG, inkl. Rückruf‑SOP.
Fazit
Die IVDR bringt nicht nur höhere Qualitäts‑ und Dokumentationsanforderungen, sondern auch deutliche Sanktionsrisiken. Mit Art. 7 d) IVDR und § 93 MPDG ist das Überschreiten der Zweckbestimmung – sei es im Prospekt, Online‑Shop oder auf Social Media – strafrechtlich relevanter denn je. Wer jetzt in Prozesse, Schulungen und systematisches Marketing‑Compliance‑Monitoring investiert, schützt sein Unternehmen vor Bußgeldern, Strafverfahren und Reputationsschäden.
Weiterführende Ressourcen & Handlungsimplikationen
- EU-Kommission: MDCG‑Guidance zu Werbung & Claims (Entwurf 2024).
- BfArM: FAQ „Häufige Fehler bei der IVDR‑Umsetzung“.
- Ccompliance‑Whitepaper (kostenlos): „10 Schlüsselkontrollen für IVDR‑Marketing“.
- Webinar‑Reihe: IVDR‑Update 2025 – Sondertermin zu Strafrecht & Durchsetzung.