IVDR Strafbarkeit

IVDR‑Compliance 2025: Strafbarkeit wegen Werbung außerhalb der Zweckbestimmung?

29. Juli 2025

Die EU‑Verordnung 2017/746 über In‑vitro‑Diagnostika (IVDR) sorgt seit 2022 für ein gerne übersehenes Haftungsrisiko: Seit Inkrafttreten der IVDR kann irreführende Kennzeichnung oder Werbung nach Art. 7 IVDR i. V. m. § 93 MPDG strafbar sein. Dieser Beitrag zeigt, welche Pflichten gelten, wo Bußgelder drohen – und wie Unternehmen ihr Compliance‑System IVDR-konform gestalten.

IVDR kurz erklärt

Die In‑vitro‑Diagnostika‑Verordnung (IVDR) gilt seit 26. Mai 2022 unmittelbar in allen EU‑Staaten. Sie ersetzt die IVDD‑Richtlinie und verschärft:

  • Risikoklassifizierung (A–D) mit Pflicht zur Benannten Stelle (meist ab Klasse B).
  • Technische Dokumentation & Leistungsbewertung – umfangreicher und audit‑pflichtig.
  • UDI‑System & EUDAMED‑Registrierung – lückenlose Rückverfolgbarkeit.
  • PRRC („Responsible Person“) – interne Fachverantwortung gemäß Art. 15.

Für Deutschland wurden die Vorgaben in das Medizinprodukterecht‑Durchführungsgesetz (MPDG) integriert.

Artikel 7 IVDR: Irreführungsverbot mit Biss

Art. 7 IVDR verbietet jede Kennzeichnung oder Werbung, die Nutzer oder Patienten bezüglich Zweckbestimmung, Leistung oder Sicherheit täuscht. Neu:

Art. 7 d) IVDR

Kein Marketing für Anwendungen außerhalb der geprüften Zweckbestimmung.

Rechtsfolge in Deutschland

§ 93 Abs. 4 Nr. 1 MPDG erklärt vorsätzliche Verstöße gegen Art. 7 IVDR zur Straftat – Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr, in besonders schweren Fällen bis 3 Jahre (gewerbsmäßig/bandenmäßig sogar 1–10 Jahre).

Pflichten & Verantwortliche

AkteurKernthemen unter IVDRHaftungsrisiko
HerstellerQMS (ISO 13485), Risikomanagement, Leistungsbewertung, CE, UDI, VigilanzBußgeld bis 30 000 €, strafbar bei Vorsatz
EU‑Bevollmächtigter (EC‑REP)Dokumente bereithalten, Behördenkontakt, RegistrierungBußgeld / strafbar wie Hersteller
ImporteurPrüfen & nachweisen, dass Produkt CE‑konform registriert ist; Name & Adresse beifügenOrdnungswidrigkeit; Vorsatz = Strafbarkeit
HändlerSichtprüfung, Lager‑/Transportbedingungen, RückverfolgbarkeitBußgeld
Labore (In‑house‑Tests)Art. 5 Abs. 5 IVDR + nationale QualitätsanforderungenBußgeld (bei gewerblicher Abgabe: volle Herstellerpflichten)

Sanktionen im Überblick

Bußgelder (Deutschland)

  • § 94 MPDG: bis 30 000 € je Verstoß
    • fehlende Registrierung (EUDAMED)
    • fehlende deutsche Gebrauchsanweisung
    • Unterlassen der PRRC‑Benennung
    • falsche Klassifizierung o. fehlendes Konformitätsverfahren

Straftaten (§ 93 MPDG)

  • Irreführende Werbung/Kennzeichnung (Art. 7 IVDR)
  • Inverkehrbringen nicht‑konformer oder gefälschter IVD
  • Unerlaubte Leistungsstudien
  • Gefährdung von Leben/Gesundheit ⇒ bis 5 Jahre
  • Gewerbsmäßiges oder bandenmäßiges Handeln ⇒ bis 10 Jahre

Österreich: Verwaltungsstrafen bis 25 000 €/50 000 € – keine eigenen Strafnormen.
Schweiz: Geld‑ oder Freiheitsstrafen nach HMG + Swissmedic‑Maßnahmen.

Typische Fehlerquellen 2025

  1. Legacy‑Werbematerial nicht angepasst
    Produktbroschüren pre‑IVDR erfüllen oft nicht Art. 7 IVDR.
  2. RUO‑Kits im diagnostischen Einsatz
    „Research Use Only“ ist kein Schlupfloch – Behörde wertet das als Inverkehrbringen.
  3. Fehlende oder fehlerhafte UDI‑Daten
    Viele Hersteller haben die UDI‑Registrierung noch nicht abgeschlossen.
  4. Verspätete Rezertifizierung
    Engpässe bei Benannten Stellen verlängern Übergangsfristen, entbinden aber nicht von Werbungsklarheit (Art. 7).

Best‑Practice‑Checkliste

  • Marketing‑Review: Jede Aussage mit Zweckbestimmung, IFU & Zertifikat abgleichen.
  • Gap‑Assessment: Prüfen, ob technische Dokumentation Art. 10 IVDR erfüllt und lückenlos aktualisiert ist.
  • Digitale Label‑Freigabe: Softwaregestützter Workflow, der Art. 7‑Check erzwingt.
  • PRRC‑Mandat: Verankerung in Organigramm, klare Reporting‑Linien zum Vorstand.
  • Schulungen: Pflichtmodul zur Strafbarkeit nach § 93 MPDG für Vertrieb & Marketing.
  • Internal Audits: Spezifischer IVDR‑Auditplan inkl. Werbemittel‑Stichproben.
  • Incident‑Response‑Plan: Meldewege an BfArM/PEI, Swissmedic oder BASG, inkl. Rückruf‑SOP.

Fazit

Die IVDR bringt nicht nur höhere Qualitäts‑ und Dokumentationsanforderungen, sondern auch deutliche Sanktionsrisiken. Mit Art. 7 d) IVDR und § 93 MPDG ist das Überschreiten der Zweckbestimmung – sei es im Prospekt, Online‑Shop oder auf Social Media – strafrechtlich relevanter denn je. Wer jetzt in Prozesse, Schulungen und systematisches Marketing‑Compliance‑Monitoring investiert, schützt sein Unternehmen vor Bußgeldern, Strafverfahren und Reputationsschäden.

Weiterführende Ressourcen & Handlungsimplikationen

  • EU-Kommission: MDCG‑Guidance zu Werbung & Claims (Entwurf 2024).
  • BfArM: FAQ „Häufige Fehler bei der IVDR‑Umsetzung“.
  • Ccompliance‑Whitepaper (kostenlos): „10 Schlüsselkontrollen für IVDR‑Marketing“.
  • Webinar‑Reihe: IVDR‑Update 2025 – Sondertermin zu Strafrecht & Durchsetzung.

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Dr. Andreas Grözinger ist Partner der auf Wirtschaftsstrafrecht & Compliance spezialisierten Kanzlei Gercke Wollschläger PartG mbB.

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